Zukunftstrends: Gesellschaft

 

Soziale Spannungen

Viele Menschen haben Angst vor sozialen Spannungen, da die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Deutschland immer größer werden. Im Jahr 1970 besaßen die reichsten 10% der Privathaushalte 44% des gesamten Netto-Vermögens – jetzt sind es laut der Credit Suisse 65%. Das reichste Prozent verfügt sogar über 31,5%, während die unteren 50% lediglich auf 2,4% des Gesamtvermögens kommen. Laut Stern besitzen die 32 reichsten Privathaushalte genauso viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung (41 Millionen Menschen). Hinzu kommt, dass auch in den Vorstandsetagen großer Unternehmen die Gehälter stark gestiegen sind. Diese neoliberalen Trends könnten zu einer Gefahr für die soziale Marktwirtschaft werden – und für die Demokratie, wenn immer mehr Menschen die Politik für die zunehmende Spaltung der Gesellschaft verantwortlich machen sollten.

Im Jahr 2023 waren laut Statistischem Bundesamt 14,3% der Menschen in Deutschland armutsgefährdet – knapp 12,0 Millionen Personen verfügten über weniger als 60% des mittleren Einkommens der gesamten Bevölkerung. Laut dem SchuldnerAtlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform waren 5,65 Millionen Privatpersonen in Deutschland im Jahr 2023 überschuldet, konnten Rechnungen in Höhe von insgesamt 174 Milliarden Euro nicht bezahlen. So ist nicht verwunderlich, dass es 2021 laut Statistischem Bundesamt 78.615 Verbraucherinsolvenzen gab. Deren Zahl dürfte in den folgenden Jahren aufgrund der zu erwartenden Rezession und der steigenden Preise zunehmen. Ende 2022 erhielten laut Statistischem Bundesamt 7,2 Millionen Menschen soziale Mindestsicherungsleistungen (8,5% der Bevölkerung); rund 1,2 Millionen Haushalte bezogen Ende 2023 Wohngeld (2,8% aller privaten Hauptwohnsitzhaushalte). Laut der BAG Wohnungslosenhilfe waren im Verlauf des Jahres 2022 circa 607.000 Menschen wohnungslos; zum Stichtag 30.06.2022 waren es schätzungsweise 447.000 Menschen. Der starke Anstieg gegenüber 2021 um 67% wurde mit den vielen wohnungslosen Flüchtlingen aus der Ukraine erklärt.

Besonders Kinder sind von Armut betroffen. Im Jahr 2023 lebten laut Statistischem Bundesamt 13,8% aller Kinder in Armut – im Jahr 2020 waren es 15,4%. Die Bundesagentur für Arbeit bezifferte die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren, die Ende 2023 vom Bürgergeld lebten, auf 1,5 Millionen. Viele der von Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen haben schlechtere Bildungs- und Lebenschancen – egal ob sie einen deutschen oder einen ausländischen Pass besitzen.

Soziale Spannungen könnten auch zwischen Erwerbstätigen und Bürgergeldempfängern entstehen. So wird kritisiert, dass viele erwerbsfähige Leistungsempfänger (circa 4 von 5,5 Millionen Personen) nicht bereit seien zu arbeiten – mehr als 1,5 Millionen Bürgergeldempfänger sind schon seit mindestens fünf Jahren arbeitslos. Berufstätige müssen somit über ihre Steuern und Sozialabgaben für den Lebensunterhalt, die Gesundheitskosten und soziale Mindestsicherungsleistungen im Alter (wenn die Rente derzeitiger Bürgergeldempfänger zu niedrig ist) von Menschen aufkommen, die bei dem derzeitigen Arbeitskräftemangel durchaus einen Arbeitsplatz finden könnten. Vor dem Hintergrund steigender Steuern und Sozialabgaben wird dies zunehmend als ungerecht empfunden.

Ob soziale Unterschiede in den kommenden Jahren größer oder kleiner werden, wird weitgehend von der Wirtschaftsentwicklung abhängen, aber auch von politischen Entscheidungen. Auf jeden Fall werden sich viele Menschen immer mehr einschränken müssen. So prognostiziert der Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski ein Umdenken vom quantitativen hin zum qualitativen Wachstum, also einen Einstellungswandel vom materiellen „Immer-Mehr“ hin zum immateriellen „Immer-Besser“. Nicht mehr die Lebensstandardsteigerung werde vorrangiges Ziel sein, sondern die Lebensqualität. Ehe, Kinder und Freunde würden für die Menschen wieder wichtiger werden, da diese mehr persönliche Lebenserfüllung gewähren als der Konsum.

Deutsche, Migranten und Flüchtlinge

Aufgrund des Zuzugs Hunderttausender Flüchtlinge befürchten viele Deutsche große Konflikte zwischen Einheimischen, Migranten und Flüchtlingen bzw. zwischen Christen und Muslimen sowie eine Zunahme rechtsradikaler und terroristischer Gewaltakte (s.u.). Zudem wird die weitere Integration von Flüchtlingen vor allem den unteren sozialen Schichten aufgebürdet, da sich Zuwanderer in deren Wohnvierteln (und nicht in von der Mittelschicht bewohnten Stadtteilen) ansiedeln. Dort treten Flüchtlinge als Konkurrenten um preiswerten Wohnraum auf.

Zudem werden Flüchtlinge mit schlecht qualifizierten Deutschen und Migranten der zweiten und dritten Generation um Arbeitsplätze konkurrieren, die nur geringe berufliche Qualifikationen voraussetzen. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit hatten gut 70% der Flüchtlinge von 2016/17 keine abgeschlossene Berufsausbildung; viele hatten nur wenige Jahre lang eine Schule besucht. Auch sind 2023 laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 41,9% der Teilnehmer an Deutschkursen bei der Sprachprüfung B1 durchgefallen, brachen im ersten Halbjahr 2023 rund 176.000 von mehr als 300.000 Teilnehmern ihren Integrationskurs vorzeitig ab. So werden Flüchtlinge zumeist nur als Hilfskräfte in Gastronomie, Reinigung, Sicherheitsdienst und Handel geeignet sein. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatten fünf Jahre nach ihrer Flucht nach Deutschland erst 61% der männlichen und 27% der weiblichen Zuwanderer einen Arbeitsplatz, wobei Auszubildende, Minijobber und Praktikanten miterfasst wurden.

Betrachtet man alle in Deutschland lebende Ausländer, so war im Januar 2024 laut Zuwanderungsmonitor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Beschäftigungsquote mit 53,1% niedriger als die allgemeine Beschäftigungsquote von 68,7%. Zugleich lag die Arbeitslosenquote mit 15,5% über dem Durchschnittswert von 7,0%. Ein höherer Prozentsatz von Ausländern (und insbesondere von Flüchtlingen) als von Deutschen ist somit auf Sozialleistungen angewiesen. Beispielsweise waren laut Bundesagentur für Arbeit im März 2023 knapp 2,6 Millionen der rund 5,5 Millionen Bürgergeldempfänger Ausländer. Während nur 5,3% der Deutschen Bürgergeld erhielten, waren es z.B. 55,1% der Syrer, 47,1% der Afghanen, 41,7% der Iraker und 16,2% der Türken. Insbesondere wenn sich sozial schwache Deutsche bei Sozialleistungen als benachteiligt erleben oder von Kürzungen derselben betroffen sein sollten, dürften Ressentiments gegenüber Flüchtlingen und anderen Ausländern zunehmen.

Zudem erleben sich viele Menschen mit Migrationshintergrund nicht als sozial anerkannt. Beispielsweise fühlte sich laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage von 2015/16 gut die Hälfte der Zuwanderer aus der Türkei und ihrer Nachkommen als Bürger zweiter Klasse. Insgesamt 65% der Türkischstämmigen der ersten Generation erlebten sich als durch die Mehrheitsgesellschaft abgelehnt; bei der zweiten und dritten Generation waren es aber „nur“ noch 43%. Obwohl Letztere besser integriert waren, waren sie jedoch weniger bereit als die Einwanderer der ersten Generation, sich an die deutsche Kultur anzupassen (52% versus 72%), wollten sie häufiger selbstbewusst zur eigenen Herkunft stehen (86% zu 67%). Die weitaus meisten Befragten fühlten sich sowohl mit Deutschland (87%) als auch mit der Türkei (85%) verbunden.

In der Bevölkerung sind negative Haltungen gegenüber Migranten weit verbreitet, oft verbunden mit rechtspopulistischen Positionen. So zeigte z.B. die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2018/19, dass 18,7% der Deutschen fremdenfeindliche Einstellungen aufwiesen. Noch stärker ausgeprägt war die Abwertung von Asylsuchenden (bei 52,9% der Befragten), von Sinti und Roma (24,7%) und von Muslimen (20,0%). Jeder fünfte Befragte (21%) tendierte zu rechtspopulistischen Einstellungen.

Zudem ist eine gewisse Demokratieverdrossenheit festzustellen, sinkt das Vertrauen der Menschen in die Parteien und in staatliche Institutionen wie z.B. die Polizei. So ist es nicht verwunderlich, dass z.B. bei der Bundestagswahl 2021 die AfD 10,3% der Zweitstimmen erhielt.

Die Ängste der Deutschen

Es ist verständlich, dass Menschen in einer Gesellschaft, die sich so rasant verändert und die so viele Probleme vor sich her schiebt, immer ängstlicher werden. So befürchten manche, dass die sich bei der Kranken- und Pflegeversicherung abzeichnenden Sparzwänge dazu führen werden, dass nicht mehr allen Menschen eine gute medizinische Versorgung garantiert werden kann und dass notwendige Operationen und Behandlungen – insbesondere bei älteren Menschen – nicht mehr durchgeführt werden. Sie rechnen damit, dass dann auch festgelegt werden wird, wie lange das Leben eines Hochbetagten verlängert werden darf und in welchen Fällen Euthanasie angezeigt ist. In den Benelux-Staaten ist inzwischen nicht nur die passive, sondern auch die aktive Sterbehilfe erlaubt.

Auch die Angst, Opfer von Straftätern zu werden, nimmt zu. Bei einer INSA-Umfrage von 2024 gaben 45% der Befragten an, dass ihr Sicherheitsgefühl in den letzten fünf Jahren (deutlich) gesunken sei. Die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2023 listet 5.940.667 Straftaten auf – 5,5% mehr als 2022. Ein großer Teil der Tatverdächtigen (923.269 von 2.246.767 Personen) besaß nicht die deutsche Staatsangehörigkeit – ein Anstieg um 17,8% gegenüber dem Vorjahr. Hinzu kommt, dass es immer häufiger im Zusammenleben von Menschen zur Gewaltanwendung kommt – an Schulen, im öffentlichen Raum, in Familien, gegenüber Polizisten, Feuerwehrleuten und Sanitätern. Immer mehr Jugendliche und Heranwachsende tragen Stichwaffen bei sich, mehr Erwachsene beantragen Waffenscheine. In Städten entstehen no-go-Gebiete, die von den Bürgern gemieden werden; manche (ältere) Menschen wagen sich spätnachts nicht mehr auf die Straße.

Viele Menschen haben auch Angst vor Terrorakten. So nimmt die Zahl potenzieller Terroristen zu – auch von solchen mit deutschem Pass. Zudem gibt es immer mehr Gewalttätigkeiten seitens Links- und Rechtsradikaler. Weitere Bedrohungen kommen aus dem Internet, wie z.B. Phishing, Computerbetrug oder Cybermobbing.

Zudem nimmt die Angst vor einer Wohlstandswende zu, da z.B. eine alternde Arbeitnehmerschaft immer weniger mit den jungen und dynamischen Arbeitskräften in den Schwellenländern konkurrieren könne, da zu wenig Geld für die Forschung und die Entwicklung von Zukunftstechnologien ausgegeben werde, da das Bildungssystem in Deutschland im Vergleich zu denjenigen in anderen OECD-Ländern schlechter sei und somit unzureichend auf die Wissensgesellschaft vorbereite, da sichere Stellen und solche mit einem guten Einkommen immer seltener werden und da die Bürger einen immer größer werdenden Anteil ihrer Einkünfte für Steuern und Sozialabgaben verwenden müssten.

Zu dieser Angst trägt bei, dass die hohen Staatsschulden – Ende 2023 lagen sie laut Statistischem Bundesamt bei 2,445 Billionen Euro bzw. bei 28.943 Euro pro Person – von immer weniger werdenden Erwerbstätigen bzw. Steuerpflichtigen zurückbezahlt werden müssen. Und dabei lag 2021 die Steuer- und Abgabenlast bei alleinstehenden Durchschnittsverdienern mit 48,1% des Arbeitseinkommens in Deutschland weit über dem Durchschnitt der OECD-Ländern von 34,6%. Auch die Steuer- und Abgabenlast eines Ehepaars mit zwei Kindern übertraf mit 32,8% den OECD-Durchschnitt von 28,8%. Der Bund der Steuerzahler berechnete für 2020, dass nach Abzug der Steuern und (Sozial-) Abgaben sogar nur 47,9 Cent von jedem verdienten Euro übrig bleiben würden.

Einen Überblick über die derzeit vorherrschenden Befürchtungen bietet die repräsentative R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“, die 2024 bereits zum 33. Mal durchgeführt wurde: So fürchteten sich 57% der Befragten vor steigenden Lebenshaltungskosten, 56% vor einer Überforderung des Staates durch Geflüchtete, 52% davor, dass das Wohnen in Deutschland unbezahlbar werden könnte, 51% vor Spannungen durch den Zuzug ausländischer Menschen, 50% vor Steuererhöhungen bzw. Leistungskürzungen, 49% vor einer Überforderung der Politiker, 48% vor einer Spaltung der Gesellschaft, 48% vor einer schlechteren Wirtschaftslage, 46% davor, dass weltweit autoritäre Herrscher immer mächtiger werden, und 46% vor politischem Extremismus. Der Angstindex – der Durchschnitt aller abgefragten Sorgen – stieg von 36 Punkten im Jahr 2021 auf 45 Punkte im Jahr 2023 und sank dann wieder auf 42 Punkte.

Auch Kinder und Jugendliche leiden unter Ängsten: Laut einer Umfrage vom Mai 2022, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erfolgte, hatten 49% der befragten 12- bis 18-Jährigen große Angst, dass es auch in Deutschland Krieg geben könnte (weitere 33% hatten etwas Angst), 42% fürchteten sich sehr vor dem Klimawandel (38% etwas), 34% vor Terroranschlägen (38% etwas) und 21% vor der Coronapandemie (29% etwas). Eine große Rolle spielten aber auch auf die eigene Person oder auf die Familie bezogene Ängste wie z.B. vor dem Tod eines Familienangehörigen oder des Partners bzw. der Partnerin (59% sehr, 24% etwas) oder vor dem Verlust von Freunden (44% sehr, 35% etwas). Die Ängste scheinen aber größer zu werden: Bei der zwei Jahre später erschienenen 7. Trendstudie "Jugend in Deutschland" waren die größten Sorgen der befragten 14- bis 29-Jährigen: Inflation (65%), Krieg in Europa und Nahost (60%), teurer/knapper Wohnraum (54%), Spaltung der Gesellschaft (49%), Klimawandel (49%), Altersarmut (48%), Wirtschaftskrise (48%), Zusammenbruch des Rentensystems (44%), Erstarken von rechtsextremen Parteien (44%) und Zunahme von Flüchtlingsströmen (41%). Solche Ängste können Auswirkungen auf das Verhalten haben: Beispielsweise wollen laut einer Appinio-Umfrage von 2023 wegen der Klimakrise 26,4% der 16- bis 24-Jährigen gar keine Kinder; bei weiteren 24,5% hatte sich der Kinderwunsch abgeschwächt.

Zukunftsoptimismus wird seltener

Die vorgenannten Ängste scheinen jüngere Menschen wenig zu belasten: Laut einer Forsa-Umfrage von 2022 glaubten 70% der befragten 14- bis 21-Jährigen an eine gute Zukunft für sich; weitere 23% antworteten mit „vielleicht“. Die eigene berufliche Zukunft wurde hingegen nur von 32% positiv und von 50% eher positiv gesehen. Auch eine Sinus-Studie im Auftrag der Barmer ergab, dass im Jahr 2022 rund 75% der befragten 14- bis 17-Jährigen sehr/eher positiv in die eigene Zukunft schauten – 2021 waren es aber noch 81% gewesen. Die Zukunft Deutschlands wurde jedoch nur von 43% und die Zukunft der Welt von 35% optimistisch gesehen – ein Jahr zuvor waren es 62 bzw. 44%. Laut dem SCHUFA Jugend-Finanzmonitor vom September 2024 glaubten nur 49% der 16- bis 25-Jährigen, dass sie einen gleich hohen oder höheren Lebensstandard als ihre Eltern erreichen können – 2023 waren es noch 58% gewesen. Hingegen fürchteten 48% der jungen Menschen, dass sich in Zukunft ihr Lebensstandard verschlechtern werde. 72% der Befragten meinten, dass die Kosten der Bekämpfung gegenwärtiger Krisen auf den kommenden Generationen lasten werden.

Laut der im Jahr 2020 veröffentlichten Studie "Das Optimismus-Paradox" der Bertelsmann Stiftung sahen 65% der Erwachsenen in Deutschland ihre persönliche Zukunft positiv; 35% waren pessimistisch. Damit waren mehr Deutsche optimistisch als der Durchschnitt der EU-Bürger (58%). Paradoxerweise sahen aber nur 44% der Deutschen die Zukunft ihres eigenen Landes positiv, waren damit aber immer noch optimistischer als der Durchschnitt der EU-Bürger (42%). Frauen und gebildete Menschen waren optimistischer als Männer bzw. weniger gebildete Personen bezüglich ihres eigenen Lebens, aber pessimistischer hinsichtlich der Zukunft ihres Landes. Laut einer von Statista ausgewerteten Umfrage aus dem Jahr 2021 waren sogar 73% der befragten Deutschen optimistisch. Aber auch bei den Erwachsenen hat sich innerhalb weniger Jahre das Bild geändert: Einer Umfrage im Auftrag von AXA zufolge sahen 2024 nur noch 42% der Deutschen zwischen 18 und 74 Jahren die Zukunft positiv. Und laut der Verbraucher-Umfrage der SCHUFA vom Februar 2024 blickten sogar 63% der Deutschen ängstlich in die Zukunft.

Religion und Werthaltungen

Die Katholische und die Evangelische Kirche werden vermutlich von Zukunftsängsten bzw. der Verunsicherung vieler Menschen wenig profitieren – im Gegensatz zu Sekten oder „Feel-Good-Religionen“ (Matthias Horx). Für viele Menschen ist der christliche Glaube bedeutungslos geworden: Laut einer INSA-Umfrage von 2019 glauben nur noch 39,2% aller Deutschen an einen Gott – 51,8% verneinen seine Existenz. Nur 35,0% glauben an Wunder, 29,3% an den Himmel und 14,5% an die Hölle. So verlieren die großen christlichen Kirchen schon seit Jahren Mitglieder: Einer Studie der Universität Freiburg von 2019 zufolge werden sich die Mitgliederzahlen bis 2030 um 22% und bis 2060 sogar um 49% verringern – von 44,8 auf 22,7 Millionen Deutsche. Dementsprechend werden sich die Kirchensteuereinnahmen halbieren. In Deutschland gehören derzeit weniger als drei Fünftel der Einwohner noch einer der beiden Konfessionen an; im Jahr 2025 könnten die Nicht-Gläubigen bereits in der Mehrheit sein. So dürfte zukünftig nur ein kleiner Teil der deutschen Bevölkerung religiös sein.

Diese Aussagen gelten aber nicht für die weiter zunehmende Zahl von Mitbürger, die dem Islam angehören. Die meisten von ihnen werden auch in Zukunft (sehr) religiös sein. Laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage von 2015/16 schätzten sich z.B. 62% der Türkischstämmigen der ersten in Deutschland lebenden Generation als religiös ein und sogar 72% der Befragten der zweiten und dritten Generation. Allerdings besuchten Letztere seltener wöchentlich die Moschee (23% versus 32%) und verrichteten auch seltener mehrfach am Tag das persönliche Gebet (35% versus 55%). Die Hälfte der Türkischstämmigen war der Meinung, dass es nur eine wahre Religion gäbe; 42% hielten die Befolgung der Islam-Gebote für wichtiger als die deutschen Gesetze; 13% wiesen ein verfestigtes fundamentalistisches Weltbild auf.

Je mehr Religion, tradierte Lebensformen oder in der Jugend übernommene Denk- und Orientierungsmuster an Bedeutung verlieren, umso größere Freiräume wird das Individuum hinsichtlich der eigenen Lebensgestaltung haben. So werden Deutsche vermehrt durch eigene Anstrengung soziale Strukturen aufbauen bzw. individuelle Wertvorstellungen und Denkweisen entwickeln müssen. Dies kann mit Ängsten und Orientierungslosigkeit verbunden sein – aber auch zum Rückzug in die vertraute Heimat führen, sodass entsprechende Identitäten und kulturelle Besonderheiten bewahrt werden. Bei anderen Menschen besteht hingegen eine große Weltoffenheit. Dazu trägt die ungebrochen große Reiselust der Deutschen bei: Im Urlaub, aber auch beruflich, werden andere Kulturen kennen gelernt. Oft werden dann Elemente aus ihnen übernommen oder sogar „multikulturelle“ Persönlichkeiten entwickelt.